Berichte

Zum Wohlbefinden von Zootieren


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EU-Workshop im Tiergarten Nürnberg (Foto: Nürnberger Tiergarten)

EU-Workshop im Tiergarten Nürnberg
(Foto: Nürnberger Tiergarten)

Informationen des Nürnberger Tiergartens zur Fachtagung

Das Ziel dieser Fachtagung war es, Gegenspieler in der gesellschaftlichen Debatte um Zootierhaltung mit der Grundlagenforschung im Tierschutz zu konfrontieren und einen auf wissenschaftlichen Erkenntnissen basierenden Konsens zu formulieren, der ein Forschungskonzept beschreibt, durch das die drängendsten Fragen zum Tierschutz in Zoos beantwortet werden können.

Das Programm unterteilte deshalb den Tag in einen Vormittag, an dem ausgewiesene Wissenschaftler zu Wort kamen, und in einen Nachmittag, an dem die knapp 80 Teilnehmer miteinander und mit den Wissenschaftlern aufgefordert waren, konkrete Fragen zu adressieren und letztendlich einen Konsens jenseits gesellschaftspolitischer Differenzen zu finden.

Schirmherr Pavel Poc

Die Teilnehmer kamen aus Zoos, Behörden, Unis und NGOs von Neuseeland, Kanada, USA, Griechenland, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Italien, den Niederlanden, Belgien, Litauen, Tschechien, der Türkei, Schweiz, Österreich und Deutschland.

In seiner Begrüßung hob der Schirmherr der Tagung Pavel Poc hervor, dass das Wohlergehen von Tieren auf der europäischen Agenda ganz oben steht. „Die Europäische Union arbeitet seit Jahren an einer entsprechenden Agenda. Gemäß dem Subsidiaritätsprinzip liegt die Umsetzung der Gesetzgebung für das Wohlergehen der Tiere bei den Mitgliedsstaaten. Indikatoren für das Wohlergehen von Tieren sind wichtig, um über Standards zu entscheiden.“

(Animal welfare is high on European agenda. EU is working on an animal welfare agenda since years. Legislative aspects of animal welfare implementation are subject to subsidiarity. Member states have to enforce it. Animal welfare indicators are important for deciding on standards.)

Forschung zu Tierschutz-Indikatoren

Im ersten Teil der Fachtagung ging es um einen Überblick über die „Welfare Science“ und die Forschung zu Tierschutz-Indikatoren.

Die Hauptvorträge hielten:

* Dr. Anastasia Komnenou, Assoc. Prof. of Surgery-Exotic and Wildlife Medicine von der Aristotle Universität in Thessaloniki; Griechenland. Für die Tierärztin ist es von großer Wichtigkeit, an einer Fachtagung teilzunehmen, die es sich zum Ziel gesetzt hat, das Wohlergehen von Tieren in menschlicher Obhut zu verbessern. „Als Tierärztin befürworte ich sehr die Zusammenarbeit mit anderen Spezialisten wie Biologen oder Verhaltensforschern“, so Prof. Komnenou. „Es ist sehr wichtig Indikatoren zu finden, die den Bedürfnissen der Tiere in allen europäischen Zoos gerecht werden.“

* Heather J. Bacon, BSc (Hons) BVSc CertZooMed MRCVS, von der Universität von Edinburgh, Schottland, verwies darauf, dass es für die Entwicklung von Indikatoren für das Wohlergehen von Tieren notwendig ist, zu verstehen, was die normale Physiologie, Ökologie und Verhaltensweise des Tieres sind. „Das Wohlergehen der Tiere“, so Bacon, „basiert auf Erfahrung, nicht auf Meinung. Der Fortschritt hängt von der Zusammenarbeit und weiteren Investitionen von Zeit und Ressourcen auf diesem Gebiet ab.“
(„Developing indicators of animal welfare requires a good understanding of normal animal physiology, ecology and behaviour. Animal welfare focuses on the animals experience, not the human opinion. Progress relies on collaboration and further investment of time and resources in this area.”)

* Prof. Dr. Norbert Sachser, Institut für Neuro- und Verhaltensbiologie an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
und

* Isabella Clegg, Universities Federation for Animal Welfare (UFAW), Frankreich.

Das Grundsatzreferat zur Kognitionsforschung hielt:

Prof. Dr. Dr. h.c. Onur Güntürkün von der Ruhruniversität Bochum (Institut für kognitive Neurowissenschaft) und Träger des Gottfried-Wilhelm-Leibniz-Preises (2013). Sein Vortragsthema lautete: „Biopsychology – Cognitive capacities indicate welfare needs“.

Viele Tiere werden von den Medien vernachlässigt

Prof. Güntürkün hob auf die Notwendigkeit von Wissenschaft ab. Wörtlich sagte er: „Mein Hauptaugenmerk gilt den nicht-charismatischen Tieren. Jenen, von denen wir denken, dass sie langweilig seien, jenen, die von den Medien und den Zoobesuchern vernachlässigt werden. Wie reich könnte ihr Innenleben möglicherweise sein? Wir brauchen Wissenschaft, viel Wissenschaft, um auch diese Tierarten in das Rampenlicht der Aufmerksamkeit zu rücken.“

„My main concern are the non-charismatic animals. Those that we think are boring, those that are neglected from the media and the zoo visitors. How rich might their inner lives possibly be? We need science, a lot of science to also place these species into the spotlight of attention.”

Fragerunde

In einem Forum der Tagung stellten sich Vertreterinnen und Vertreter von Zoos, Behörden, Universitäten und Nichtregierungsorganisationen (NGOs) den Fragen des Publikums:

* Dr. Javier Almunia, Loro Parque Foundation, Spanien

* Dr. Katrin Baumgartner, DVM, Tiergarten Nürnberg

* Dr. Johanna Moritz, Bayerisches Landesamt für Gesundheit und Lebensmittelsicherheit

* Dr. Xavier Manteca, Universität von Barcelona, Spanien

* Dr. Niels van Elk, EEP-Koordinator für Tursiops truncatus, Dolphinarium Harderwijk, Niederlande

* Dr. Ingrid N. Visser, Gründerin und Wissenschaftlerin im Orca Research Trust, Neuseeland

Aktuelle Zooforschungen im Bezug auf In-situ-Artenschutzmaßnahmen thematisierten:

* Prof. Guido Dehnhardt (Institut für Biowissenschaften an der Universität Rostock) und M. Sc. Tim Hüttner (Universität Bayreuth), die über Elektroperzeption bei Delfinen berichteten, und

* Dr. Lorenzo von Fersen (Tiergarten Nürnberg) und Dr. Kurt Hammerschmidt (Abteilung Kognitive Ethologie am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen), die bioakustische Studien über Delfine und Seekühe (Manatis) vorstellten.

Der EEP-Koordinator für Große Tümmler, Dr. Niels van Elk, betonte die Bedeutung eines interdisziplinären Ansatzes.

“It was good to have this workshop. The multidisciplinary approach must arrive in time to a pragmatic assessment approach based on science and consensus.”

Die Ergebnisse der Fachtagung sollen im Herbst in Brüssel EU-Parlamentariern und Mitgliedern der EU-Kommission vorgestellt werden.

Lesetipps

* EU-Workshop im Tiergarten
* Tümmler & Co.: Wie (un)wohl fühlen sich Zootiere?
* Wann fühlt ein Wal sich wohl?
* Nürnberg schneidet gut ab

9 Kommentare

  1. Vielen Dank für diesen interessanten Bericht. Natürlich kann man nie hundertprozentig sagen, wie sich ein Tier in seiner gegebenen Situation fühlt (das schaffen wir ja oft nicht mal bei unseren Mitmenschen), aber ich denke, es gibt zumindest Indizien wie die erwähnten Hormonmessungen und das Spielverhalten, das erwachsene Tiere nur dann zeigen, wenn sie sich absolut sicher fühlen. In der Natur spielen bei den meisten Arten fast ausschließlich die Jungtiere, um zu lernen. Die Sicherheit wird durch die Elterntiere vermittelt, die während des Spiels aufpassen. Delfine bilden eine der wenigen Ausnahmen, die noch als adulte Tiere häufig spielen.

    geschrieben von Oliver
    1. Vielen Dank für deinen Beitrag, Oliver. Ich sehe das genauso wie du.

      Wenn man von Delfinen spricht, die auch als erwachsene Tiere ein ausgeprägtes Spielverhalten zeigen, so meint man damit allerdings nur die Arten, die unter „menschlicher Beobachtung“ stehen. Von den meisten Arten (es gibt ja weit über 30) ist nämlich nicht bekannt, ob sie ebenfalls dieses Verhalten zeigen. Ihr Leben spielt sich zum größten Teil ja unter Wasser und von Mensch unbeobachtet ab.

      „Unter menschlicher Beobachtung“ stehen zum Beispiel ortsansässige Große-Tümmler-Gruppen (Stichwort Sarasota Bay, Port-River-Mündung), Fleckendelfine auf den Bahamas oder Tursiops-aduncus-Gruppen im Roten Meer (und natürlich noch viele andere Populationen, die gut erforscht sind).

      Auch in Zoos, in denen es „Behavioral Enrichment“-Angebote gibt und in denen Delfine ja bekanntermaßen sich nicht vor Feinden fürchten müssen, kann man auch bei sehr alten Großen Tümmlern (zum Beispiel dem weit über 50-jährigen Moby in Nürnberg) Spielverhalten beobachten.

      geschrieben von Susanne
  2. Danke für diesen Bericht! Bei der Tagung wäre ich gern dabei gewesen und hätte gelauscht, es hört sich spannend an.

    geschrieben von Bettina Wurche
  3. Zitat: >>Das wollte Ingrid Visser vom neuseeländischen Orca Research Trust so nicht stehen lassen: „In der Natur können Tiere, die gemobbt werden, abwandern. Das können sie im Zoo nicht.“<<

    Auch wieder so eine hanebüchener Behauptung, die einfach nur oft genug wiederholt wurde, um als "wahr" durchzugehen!
    Kein Delfin/Orca verlässt seine Schule freiwillig – da das Leben als Einzelgänger extrem gefährlich (mit einem einzelnen Delfin wird ein weißer Hai / Bullenhai / Orca schnell fertig) und dank Futtermangel (alleine einen Heringsschwarm einzukreisen geht auch irgendwie nicht) auch gerne mal tödlich verläuft. Auch die Chancen, Anschluss an eine andere Schule zu finden, sind je nach Spezies eher mäßig – und in jedem Fall extrem risikoreich. Speziell unterlegene Bullen werden auch in einer neuen Gruppe schnell wieder das Opfer sein, und als Weibchen auf eine Schule notgeiler Bullen (eventuell auch noch einer ähnlichen, aber körperlich überlegenen Art – z.B. Spinner-Delfin-Kuh und Große Tümmler Bullen) zu treffen, stelle ich mir auch nicht so prickelnd vor.

    Ich bin daher der Meinung, dass selbst (oder gerade) unterlegene Tiere in einer ordentlich geführten Tierhaltung ein recht gutes Los gezogen haben: Wenn hier die "Chemie" in der Gruppe nicht stimmt, werden die Verantwortlichen relativ schnell eingreifen und zunächst durch Separierung und bei anhaltenden Problem auch durch Umsiedlung dafür sorgen, dass kein Tier "gemobbt" wird.
    Bestes Beispiel ist hier der Methusalem Moby in Nürnberg, der in freier Wildbahn die Begegnung mit Arnie wohl kaum überlebt hätte. Nein, ein 53-jähriger Bulle wird es in freier Wildbahn definitiv nicht mehr schaffen, sich eine neue Schule zu suchen.

    Arnie begrlückt jetzt in Spanien seine Kühe und Moby träumt weiter davon, der Alpha-Bulle in Nürnberg zu sein. Sein Sohn Noah glaubt das zwar ganz offensichtlich nicht (siehe Abstammung von Nami), aber er legt es auch nicht auf einen offenen Streit an.

    Soviel zum Thema "in freier Natur ist alles besser".

    geschrieben von Norbert
    1. Hallo Norbert, meinst du mit dem Delfin, der jetzt in Spanien lebt, nicht eher Rocco? Soviel ich weiß, ist Arnie noch in der Nürnberger Gruppe …
      http://www.meeresakrobaten.de/2014/10/nuernberger-delfinmaennchen-rocco-zog-nach-malaga/

      geschrieben von Susanne
      1. Äh, ja … hab‘ die beiden verwechselt – Sorry. Die beiden waren immer zusammen, bis Rocco verfrachtet wurde.

        geschrieben von Norbert
        1. Arnie kam nicht mit Rocco, sondern mit J o k e r nach Nürnberg. Beide lebten in einem getrennten Becken, da die beiden leider nicht mit der bestehenden Gruppe harmonierten. Beide stammen aus dem Heidepark in Soltau, das ja geschlossen wurde. Nürnberg war eine Notlösung. Es gab keine andere Möglichkeit, die beiden Bullen im Jahr 2008 woanders unterzubringen. Seit Joker 2013 abgegeben wurde, ist wieder Frieden in die Gruppe eingekehrt. Mit Arnie und der restlichen Delfingruppe gibt es offenbar keine Probleme. Und Joker hat sich offenbar sehr gut in der Freianlage in Harderwijk eingelebt.

          R o c c o kam zusammen mit Kai aus den Niederlanden nach Nürnberg. Kai hat sich gut in die bestehende Gruppe integriert, da er noch recht jung war, als er nach Nürnberg kam.

          geschrieben von Susanne
  4. Dass neben anerkannten Wissenschaftlern nun auch der hochrangige Publizist und Tierfilmer Michael Miersch (https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Miersch) für die „Meeresakrobaten“ schreibt, zeigt den hohen Stellenwert der Delfin-Informations- Seite, welche Susanne Gugeler – neben ihrer Berufstätigkeit – rein privat seit nunmehr fast 15 Jahren (Geburtstag 17.7.2016!) nahezu tagesaktuell und mit stets hoher Fachkenntnis betreut.

    geschrieben von Rüdiger
    1. Der Artikel wurde zwar nicht exklusiv für die Meeresakrobaten geschrieben, sondern für zoos.media, doch ich freue mich trotzdem sehr darüber, dass Michael Miersch mir die Erlaubnis gegeben hat, diesen tollen Beitrag auch auf meiner Website zu veröffentlichen.

      geschrieben von Susanne

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