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Wirklich das Beste für die Tiere?


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Gastbeitrag von Daniela Breuer, 22. März 2016

Vertrauensverhältnis (Foto: Linda)

Vertrauensverhältnis
(Foto: Linda)

Im Moment macht ein Thema die Runde im sozialen Netzwerk und in anderen Medien: SeaWorld hat angekündigt, die Orca-Nachzucht ab sofort zu beenden. Lediglich noch ein Jungtier (Takara wurde im letzten Jahr trächtig) wird erwartet, dann ist Schluss. Siehe dazu auch den Beitrag Keine Orca-Nachzuchten mehr (mit vielen Kommentaren).

Daniela Breuer hat sich über die Konsequenzen Gedanken gemacht. Die MEERESAKROBATEN bedanken sich bei Daniela für diesen sehr interessanten Beitrag, der bestimmt zu weiteren Diskussionen anregt.

Haltungsgegner feiern bereits

SeaWorld stellt die Orca-Zucht ein. Diese Nachricht wird von Haltungsgegnern bereits gefeiert. Sie sehen ihr Ziel, die Haltung von Cetaceen in Menschenhand zu beenden, ein Stück nähergerückt.

Im Gegensatz zu den Großen Tümmlern, die sowohl in Nordamerika als auch in Westeuropa einen mehrere Hundert Tiere umfassenden, sich selbst erhaltenden Bestand bilden, ist der Grundstock der Orca-Population sehr klein und ein Großteil der Tiere ist bereits nah miteinander verwandt.

Möglicherweise greift SeaWorld mit seinem Entschluss nur dem vorweg, was in einigen Jahrzehnten sowieso passieren wird, nämlich dass aufgrund fehlender genetischer Vielfalt die Zucht ein Ende findet.

Wasserfall (Foto: Linda)

Wasserfall
(Foto: Linda)

Ende der Haltung erst in Jahrzehnten

Doch so oder so, zwischen dem Ende der Haltung und heute liegen noch 20, 30, vielleicht 40 Jahre, bis das letzte in diesem Jahr noch erwartete Kalb sein natürliches Lebensende erreicht hat. Und so stellt sich die Frage, welche Auswirkung SeaWorlds Entschluss für die verbleibenden Tiere hat.

Selbstverständlich wird den Orcas nach wie vor die bestmögliche tierpflegerische und veterinärmedizinische Versorgung zukommen. Doch die Anlagen, in denen sie gehalten werden, stammen aus den 70ern.

Es sind zum größten Teil eckige, kahle Becken, die am ehesten mit Affen- und Großkatzenkäfigen zu vergleichen sind, die in Zoos in diesem Jahrzehnt üblich waren.

Das hat sich inzwischen weitgehend geändert. Statt solcher Käfige findet man in seriösen, wissenschaftlich geleiteten zoologischen Gärten weitläufige, abwechslungsreich und naturnah gestaltete Freigehege.

Erneuerung ist teuer

Auch für Große Tümmler gibt es bereits solche Unterwasserlandschaften mit gefiltertem natürlichem oder künstlich hergestelltem, biologisch aufbereitetem Seewasser (u. a. Harderwijk, Nürnberg).

Etwas Vergleichbares wäre auch für Orcas denkbar. Doch SeaWorld ist ein Wirtschaftsunternehmen. Und unternehmerisch ist es sinnlos, in eine auslaufende Haltung, und mag sie auch noch einige Jahrzehnte andauern, die Millionen zu investieren, die eine solche Anlage kosten würde.

Es steht also zu befürchten, dass die SeaWorld-Orcas den Rest ihres Lebens, was bei den Jüngsten durchaus noch 30-40 Jahre sein können, in Anlagen verbringen werden, die schon heute vom bestmöglichen Haltungsstandard überholt worden sind.

Elefanten in der Serengeti (Foto: Rüdiger Hengl)

Elefanten in der Serengeti
(Foto: Rüdiger Hengl)

Matriarchat-Gruppen

Nicht zuletzt Tierrechtler weisen immer wieder auf die komplexen Sozialstrukturen von Orca-Gruppen hin. Ähnliches findet sich bei Elefanten, die ebenfalls in Matriarchat-Gruppen (Anmerkung Meerersakrobaten: also von weiblichen Tieren dominierten Gruppen) leben.

In der Elefantenhaltung wurde über Jahrzehnte reine Kuh-Haltung betrieben, nicht verwandte, oft gleichaltrige Weibchen, teilweise die afrikanische und die asiatische Art gemischt. Die Tiere wurden darauf trainiert, den Pfeger als „Leittier“ zu akzeptieren. Nicht selten gehörten auch zirkusartige Vorführungen dazu. Ein der Art entsprechendes Sozialleben war so nicht möglich.

Doch mittlerweile ist man davon weggekommen. Moderne Elefantenhaltungen sind darauf ausgerichtet, solche Matriarchat-Familien aufzubauen, was in den letzten 15 Jahren immer erfolgreicher praktiziert wird.

Die Pflege erfolgt immer öfter im geschützten Kontakt, sodass der Einfluss der Tierpfleger auf die sozialen Strukturen innerhalb der Herde zurückgefahren wurde.

Es ist also durchaus möglich, auch Tieren mit engen sozialen Bindungen innerhalb der Familiengruppen in der Haltung gerecht zu werden, wenn der Wille besteht und man entsprechenden Aufwand nicht scheut. In wie weit das Bestandsmanagement der SeaWorld-Orcas dieser natürlichen Sozialstruktur Rechnung trägt, ob man sich um Matriarchat-Familien an den einzelnen Standorten bemüht und wie stark die Tiere für die Shows auf ihre Trainer fixiert sind, vermag ich nicht zu beurteilen.

Flussdelfin im Duisburger Zoo (Foto: Verena Pecsy)

Flussdelfin im Duisburger Zoo
(Foto: Verena Pecsy)

Natürliche Sozialstruktur wird nicht mehr möglich sein

Außer Zweifel dürfte jedoch stehen, dass mit einem Einstellen der Zucht eine natürliche Sozialstruktur für die Tiere vollends unmöglich wird. In einigen Jahrzehnten, wenn sich die Haltung schließlich dem Ende nähert, erleben die jüngeren Tiere nach und nach das Wegsterben ihrer Artgenossen, ohne dass eine neue Generation nachwächst, und finden sich schließlich als die letzten ihrer Art wieder.

Auch wenn wir nicht annehmen können, dass die Tiere hierüber philosophische Gedanken anstellen, so ist doch zu befürchten, dass die letzten verbleibenden Individuen ebenso vereinsamen, wie es aktuell schon bei anderen auslaufenden Haltungen zu beobachten ist, etwa dem Flussdelphin in Duisburg (Anmerkung MEERESAKROBATEN: das sehe ich anders, da Amazonas-Flussdelfine oft einzelgängerisch leben und nicht zwingend in einem Sozialverband untergebracht werden müssen) oder dem letzten Kleideraffen in Köln – oder dem alten Orcaweibchen Lolita im Miami Seaquarium (nachträgliche Änderung am 23. März 2016 durch Daniela Breuer).

Verhinderung von Fortpflanzung

Einstellen der Zucht bedeutet Verhindern von Fortpflanzung. Und da es physiologisch kaum möglich ist, einen Schwertwal zu narkotisieren, um ihn zu sterilisieren, bleiben nur zwei Möglichkeiten: getrennte Haltung weiblicher und männlicher Tiere oder dauerhaft hormonelle Verhütung.

Die erste Möglichkeit würde wiederum die Sozialstruktur beeinträchtigen. Bei der zweiten hingegen ist zu hinterfragen, wie sich die Verhütung über womöglich Jahrzehnte auf die Gesundheit der Tiere auswirkt.

Orca-Zunge (Foto: Rüdiger Hengl)

Orca in Antibes/Südfrankreich (Foto: Rüdiger Hengl)

Nicht nur beim Menschen sind teils schwerwiegende Nebenwirkungen der Pille bekannt. Auch etwa bei Löwen und anderen Großkatzen, bei denen wegen zu reichlicher Zuchterfolge über Jahre verhütet wurde, sind Erkrankungen wie z.B. Gebärmutterkrebs dokumentiert worden.

Scheinlösung Meeresgehege

Nun mag der Gedanke aufkommen, die Überführung in Meeresgehege könnte eine Lösung sein. Dies ist sie aber nur zum Schein. Auch hierfür wären, wie für eine neue Beckenanlage, zunächst Investitionen in Millionenhöhe nötig.

Ändern würde sich dadurch aber allenfalls die Qualität des Habitats der Tiere, und nicht unbedingt nur zum Vorteil. Sicherlich könnte ein Meeresgehege mehr Raum und mehr Umweltreize bieten. Mit dem natürlichen Meerwasser wären die Tiere allerdings auch allen Umweltgiften ausgesetzt, die sich darin befinden.

Die Sauberkeit kann nicht im gleichen Maße gewährleistet werden, wie in einer Beckenanlage. Darüber hinaus würden die mehrheitlich nachgezüchteten Tiere aus der ihnen vertrauten Umgebung entnommen und in ein ihnen völlig fremdes Habitat versetzt.

Sicherlich würden sie sich mit der Zeit anpassen. Nichtsdestotrotz ist es aber doch genau das, was – zu recht – an der in der westlichen Welt inzwischen aufgegebenen Praxis der Wildfänge stets kritisiert wurde und wird.

In allen anderen Belangen unterscheidet sich die Haltung im Meeresgehege nicht von der im Becken. Eine natürliche Sozialstruktur ist ohne Zucht nicht möglich, die nicht an ein Leben im Meer angepassten Tiere sind weiterhin von der Versorgung durch ihre Pfleger abhängig.

Orcas in Antibes (Foto: Rüdiger Hengl)

Orcas in Antibes
(Foto: Rüdiger Hengl)

Radikalste Lösung

Da man die in Menschenhand geborenen Tiere nicht auswildern kann, wäre die konsequenteste Lösung zur Beendigung der Orca-Haltung ohne die beschriebenen Nachteile wohl auch die radikalste: die verbleibenden Tiere einzuschläfern.

Diese Maßnahme, da dürften sich wohl Haltungsgegner wie auch Halter unausgesprochen einig sein, ist keine Option. Stattdessen hat man sich für den „sauberen“ Weg entschieden. Doch bringt diese von Haltungsgegnern begrüßte Lösung den verbleibenden Tieren keine Verbesserung. Vielmehr steht zu befürchten, dass sich ihre Lebensumstände aus oben genannten Gründe sukzessive verschlechtern könnten.

Ob dies wirklich im Sinne des Tierschutzes ist, lässt sich zumindest bezweifeln. Ein Grund zu feiern ist das, aus Sicht der Tiere, die die Entscheidung betrifft, jedenfalls nicht.

1 Kommentare

  1. Erstmal vielen Dank für die Veröffentlichung.

    Bezüglich der Anmerkung zum Flussdelphin: Da hast du natürlich Recht. Als eher solitäre Art ist die nun mal nicht zu ändernde Einzelhaltung vermutlich für den Boto, der ja noch dazu ein Männchen und schon sehr alt ist, nicht so dramatisch wie für die hoch sozialen Orcas. Optimal finde ich die Situation dennoch nicht, denn auch ein einzelgängerischer Bulle würde in der Wildbahn hin und wieder auf Artgenossen treffen und dann die Möglichkeit zur sozialen Interaktion wahrnehmen. Als das zweite Tier noch lebte, konnte man ja sehr schön beobachten, dass die beiden eher miteinander als jeder für sich agierten.

    Der Kleideraffe in Köln ist übrigens auch nicht allein, man hat ihn mit einem ebenfalls schon alten Tier einer anderen Lagurenart vergesellschaftet, und die beiden verstehen sich gut. Nur würde ich bei jeder Tierart, auch bei einzelgängerischen, das Vorhandensein und die Möglichkeit zum Kontakt mit Artgenossen als wesentlichen Aspekt einer bestmöglichen Haltung sehen. Wo das eben z.B. aus Gründen auslaufender Haltung endgültig nicht mehr möglich ist, wird die Haltung suboptimal, um es mal so auszudrücken. Ob sie noch akzeptabel ist, hängt dann von der jeweiligen Sitauation ab. Ich denke, bei dem Boto wie auch dem Kleideraffen hat man Lösungen gefunden, mit denen die Tiere klarkommen. Bei einem Orca hätte ich da aber meine Zweifel, ob am Ende der Mensch als gelegentliche Bezugsperson (s. Boto, er interagiert öfters mit Besuchern, besonders kleinen Kindern) oder vielleicht eine andere Delphinart als Gesellschaft ausreichend sind.

    Ein anderer Fehler ist mir allerdings unterlaufen: Lolita lebt nicht im Marineland, sondern im Miami Seaquarium.

    geschrieben von Daniela

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